Der Aufstieg und Fall eines Start-Ups
Eine persönliche Reise durch die Höhen und Tiefen der letzten 8 Jahre
Letzte Woche habe ich erstmals öffentlich über mein Startup-Abenteuer gesprochen und die Erfahrungen sowie Learnings mit Studierenden an der Technischen Universität Graz geteilt. Es ist nun rund 9 Monate her, dass wir leider die Türen unserer Firma für immer schließen mussten. Eine spannende, aufregende und herausfordernde, aber auch von Erfolgen geprägte Ära ist zu Ende gegangen. In diesem Artikel werde ich die Geschichte über die Anfänge und den großen Rückschlag dieser Reise teilen. Der einstündige Vortrag und meine persönlichen Learnings-Learned können gerne als Impulsgeber gebucht werden (siehe unten).
🎧 Hör dir jetzt die Analyse durch NotebookLM von Google im Dialog auf der Audiospur an! Unbedingt anhören!
Aber nun zur Geschichte.
Der Anfang
Es war Herbst 2016, als ich von meinem Ex-Microsoft-Kollegen Wolfgang Walcher einen unerwarteten Anruf bekam. „Kennst du eine Technologie, mit der man 3D-Luftbilddaten auf einer Plattform verkaufen kann?“ war die spontane Frage von Wolfgang, der nach einer Anfrage eines damaligen Kunden aus Salzburg selbst diese Frage gestellt bekommen hatte. Nach kurzer Recherche von uns beiden war die verblüffende Erkenntnis: Nein, so etwas gibt es nicht. Uns war klar, dass wir einen potenziellen Bedarf am Markt entdeckt hatten, der noch nicht bedient wurde. Ich, damals bereits als selbstständiger Software-Consultant tätig, kontaktierte befreundete Softwareentwickler und wir arbeiteten diese Idee aus. Wie es sich gehört, schrieben wir einen Businessplan (Spoiler: dieser war nicht der letzte), erstellten ein Produktkonzept und suchten einen Namen. GeoVRse sollte die Plattform heißen, die es Firmen mit 3D-Content erlaubt, ihre Daten in 3D zu visualisieren und an Endkunden zu lizenzieren. Mit diesen Unterlagen sind Wolfgang und ich mit dem Nachtzug nach Hamburg zur INTERGEO gereist, um erstes Feedback von potenziellen Kunden einzuholen.
Motiviert und zurück in Graz, haben wir mit all dem positiven Feedback einen 24-Stunden-Hackathon geplant, um den ersten Prototypen für die Messe, die drei Wochen später stattfinden sollte, zu entwickeln. Mein Esszimmer wurde als Hacking-Space umfunktioniert, und wir arbeiteten als sechsköpfiges Team an dem ersten lauffähigen Prototypen.
Mit der Demo und einem Video im Gepäck fuhren wir nach München zur BIMWorld und präsentierten dort unsere Idee: eine AR-Experience mit der damals in Europa noch nicht verfügbaren Microsoft HoloLens. Die Besucher konnten sich durch ein real geplantes 3D-Haus in originaler Größe bewegen. Der Andrang am Stand war so groß, dass Wolfgang und ich kaum Zeit für die Notdurft hatten.
Die Gründung
Mit diesem Feedback war uns klar, dass wir einen Bedarf entdeckt hatten und im Juni 2017 mit dem dritten Gründungsmitglied Josef Kauer (Ex-Microsoft-Mitarbeiter aus Deutschland) die Firma Robotic Eyes GmbH gründen würden. Das Gründerteam deckte sämtliche Grundkompetenzen ab, die man als Firma benötigt: Business Development, Product Development und Vertrieb. Wir stellten die ersten Mitarbeiter ein und sicherten uns die ersten Förderungen. Mit dem Science Park in Graz und dem ESA BIC-Programm hatten wir einen starken lokalen Partner, der uns speziell in der Gründerphase mit Beratung, Büroräumlichkeiten und Funding unterstützte.
In der Zwischenzeit hatten wir bereits den ersten sogenannten Pivot (Richtungswechsel) hinter uns. Wir schrieben die zweite Version des Businessplans und fokussierten uns auf die Baubranche, insbesondere auf Architekten und Baufirmen, denen wir das Produkt REX (Robotic Eyes eXplorer) als mobile App, basierend auf der REX Cloud Plattform, anboten.
Der Aufstieg
Der damalige Aufstieg der Augmented Reality auf mobilen Endgeräten durch Google und Apple half auch uns, unsere Software als innovatives Produkt am Markt zu platzieren. Wir erweiterten unser Portfolio und akquirierten nicht nur nationale, sondern auch internationale Aufträge, einschließlich EU-Projekten. Zudem entwickelten wir sogenannte „Custom Solutions“ für größere Firmen, basierend auf unserer Plattform REXos (REX Operating System).
Die Palette an Produkten wuchs, ebenso die Anzahl der Belegschaft. Zu unseren besten Zeiten hatten wir über 20 Personen im Unternehmen beschäftigt, wobei die meisten in der Software-Entwicklung tätig waren. Durch Feedback vom Markt sind wir sukzessive von einem reinen Anbieter von Visualisierung zu einem Anbieter für 3D-Dokumentation, Inspektion und Indoor-Navigationslösungen geworden. Die Idee war, die Realität mit dem Plan abzugleichen, einen sogenannten Soll-Ist-Vergleich zu machen, und das mit Unterstützung innovativer Technologie.
Der große Pivot
Einer der Kunden für Custom Solutions war die Firma Schöck aus Deutschland, bekannt als Marktführer für bauphysikalisch optimierte Bauteile zur thermischen Trennung im Hochbau. Wir entwickelten eine AR-App namens S-Construct, die Planungs- und Verlegeergebnisse von Schöck-Produkten direkt auf der Baustelle visualisiert. Mit einem mobilen Endgerät konnte der Verlegeplan interaktiv mit der Realität auf der Baustelle abgeglichen werden, und die Einbausituation konnte somit auch auf Korrektheit dokumentiert werden.
Die Zusammenarbeit Schöck führte uns unter anderem auch in ihre Welt ein, und wir kamen schrittweise mit ihren Kunden, den Betonfertigteilwerken, in Berührung. Nach mehreren Besuchen hatten wir immer wieder beobachtet, dass die Pläne sehr komplex sind und selbst die geschulten Arbeiter Probleme hatten, sich zurechtzufinden. Zudem litten die Pläne stark unter den rauen Bedingungen der Umgebung.
Diese Beobachtungen führten uns zu einer neuen revolutionären Idee: ein Produkt zu entwickeln, das den Plan in realer Größe auf die Arbeitsfläche projiziert, um die Arbeiter auf einfache Weise anzuleiten, welche Bauteile an welcher Stelle gesetzt werden sollen – sozusagen ein Planbeamer.
Als technologieorientiertes Unternehmen haben wir zunächst die Machbarkeitsprüfung durchgeführt und erste Tests vorgenommen.
Die Idee war, mit einem großen, lichtstarken Kinoprojektor, der an der Decke montiert wird, den Plan in Realgröße auf die Arbeitsfläche zu projizieren. Klingt einfach, oder? Um diese Idee zu verifizieren, borgten wir uns einen solchen Projektor aus, fuhren in ein Betonfertigteilwerk nach Deutschland, montierten den Projektor und validierten die Idee. Nach vielen manuellen Schritten konnten wir jedoch die Machbarkeit demonstrieren, und die Arbeiter vor Ort waren begeistert. „Gleich da lassen!“, hörten wir vom Vorarbeiter in der Halle.
Obwohl noch viele technische Hürden auf uns warteten, waren wir überzeugt, dass alle für uns lösbar sein würden. Anfangs war der Planbeamer noch ein sogenanntes „Side-Projekt“, aber mit der Zeit wurde uns klar, dass wir sowohl ressourcentechnisch als auch schwerpunktsmäßig uns diesem Thema widmen mussten, da wir ein riesiges Potenzial darin sahen. Dieses Potenzial wurde auch von der Firma Schöck geteilt, die wir in diesem Zuge als Investor an Bord holten. Wir hatten eine gemeinsame Vision und eine gemeinsame Kundenbasis, was eine sehr gute Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit bildete.
Wir migrierten von einem reinen Software-Unternehmen zu einem Software-Hardware-Unternehmen und mussten nun auch Hardware auswählen, zusammenbauen, testen und alles, was sonst noch dazu gehört. Wir investierten in Marketing, Messeauftritte und ließen sogar den prägenden Produktnamen CHEKKER entwickeln. Wir akquirierten die ersten Kunden, installierten europaweit die ersten Systeme und begannen, das Produkt schrittweise zu verfeinern. Zusätzlich zur Visualisierung kam die automatische Qualitätskontrolle hinzu, die es ermöglicht, den Soll-Zustand automatisch mit dem Ist-Zustand abzugleichen, basierend auf neu entwickelten Methoden mit maschinellem Lernen und neuronalen Netzen.
Die Probleme
Obwohl wir stets bemüht waren, die reale Umgebung der Kunden in unserer sogenannten Denkfabrik (Lagerhalle mit einem CHEKKER-Entwicklungssystem) zu testen, wurden wir mit diversen Problemen beim Kunden konfrontiert. Der Lichteinfall in den Hallen übertönte unsere Projektion, die Reflexion an den Stahltischen war störend, und auch Hardwareprobleme des verwendeten Projektors machten uns zu schaffen. Dennoch haben wir weiterhin versucht, die Probleme schrittweise zu lösen und das Produkt zu verbessern.
In dieser Zeit begann sich auch die wirtschaftliche Lage abzukühlen, und die Angst vor einer Rezession war spürbar. Besonders die Baubranche traf es hart, da kaum Bauaufträge vorhanden waren. Somit gab es auch kein Geld für innovative Produkte und kein Bestreben, in das Produkt CHEKKER zu investieren. Die Krise wurde schlimmer und traf schließlich auch unseren Investor hart, was zur Folge hatte, dass wir in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.
Der Fall
Wir hatten ein schmales Zeitfenster von mehreren Wochen, um nach neuen Investoren zu suchen, was jedoch in Anbetracht der generellen wirtschaftlichen Lage aussichtslos war. Trotz guter Gespräche mit potenziellen Investoren konnte leider kein Kapital aufgetrieben werden, was uns schließlich zur Anmeldung der Insolvenz zwang.
Viele Jahre harte Arbeit, Herzblut und Engagement des gesamten Teams waren auf einmal nichts mehr wert. All die guten Ideen und die gelösten Probleme waren einfach Schall und Rauch. So schwer das auch war, musste man der Realität ins Auge sehen und den Blick nach vorne richten.
Das Fazit
Wenn das Ende auch tragisch war, möchte ich die letzten 8 Jahre nicht missen. Die vielen kleinen Erfolge, die wir feiern durften, das unglaubliche Team, das in jeder Minute zusammengehalten hat und Außerordentliches geleistet hat, die vielen guten Kundengespräche und die Erfahrungen, die wir alle machen durften.
Das Leben besteht aus vielen Kapiteln, und eines ist damit abgeschlossen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, speziell bei meinem Co-Founder Wolfgang, beim gesamten Team über all die Jahre, bei der Firma Schöck und bei den Kunden. Danke!
Impulsvortrag
Wie eingangs erwähnt, gibt es zu meinem Abenteuer auch einen Impulsvortrag mit dem Titel „Beyond the Pitch Deck“, in dem auch meine Lessons Learned verarbeitet sind. Falls Interesse besteht, den Vortrag für einen speziellen Anlass zu buchen, kontaktiere mich einfach per E-Mail.